Kriege verstehen?
Wie versteht man Kriege?
Ist das die richtige Frage? Im ersten Weltkrieg begeisterten sich etliche Intellektuelle zunächst für den Krieg, sahen in ihm eine notwendige Erneuerung.
Richard Dehmel, um die Jahrhundertwende ein bekannter deutscher Dichter und Lyriker mit großem Einfluss auf den Expressionismus, bewundert vom jungen Thomas Mann, meldete sich freiwillig zum Einsatz beim Militär und beschwor noch kurz vor Kriegsende 1918 die Deutschen, "durchzuhalten".
Auch Gerhard Hauptmann, dessen Werke "Biberpelz" und "Aufstand der schlesischen Weber" Schullektüre sind, verherrlichte den 1. Weltkrieg und bekannte sich erst Ende 1918 zur Republik, war sodann 1933 angetan von Hitler und wollte in die NSDAP, sein Antrag wurde jedoch abschlägig beschieden.
Der Maler Franz Marc schrieb noch 1914 in einem Brief an seinen Künstlerfreund August Macke: "Der Krieg ist eine Reinigung, die uns von der Schwäche befreit und die Starken hervorbringt.“ Der französische Maler Henri Matisse konnte nicht umhin, den Krieg als Quelle für neues künstlerisches Farbenspiel zu sehen: "Die Aufregung des Krieges inspiriert uns, die Welt in neuen Farben zu sehen."
Thomas Mann, Literaturnobelpreisträger von 1929, notierte bis Ende 1914 seine Begeisterung für Kaiser und Krieg als geistige Erneuerung und schrieb in der Neue Rundschau 1914: "Krieg! Es war Reinigung, Befreiung, was wir empfanden, und eine ungeheuere Hoffnung."
So vergeistigte und ästhetisierte die künstlerische Elite den Kriegsbeginn 1914 und wirkte an der Ideologie des Krieges mit.
Viele Künstler der Jahrhundertwende entwickelten später eine kritischere Sicht auf den Krieg, zumal, als sie die Schrecken und die Barbarei realisierten.
Wie versteht man Kriege? Gestern und heute? Wann beginnen sie?
In der Sprache, in den Worten.
Sprache verändert Denken und Handeln. Immer.
"Am Anfang war das Wort", heißt es im Johannesevangelium. Und am Ende der Zivilisation? Wahrscheinlich steht dann "Am Ende war das Ende".
Noch sind wir da nicht.
Und nun?
Nach Februar 2022 dringen mehr militärische Worte in unsere Sprache als bald 80 Jahre zuvor. Auch diesmal beginnt wieder alles mit der Sprache, mit Militärrhetorik, angefangen in Tonfall und Habitus. Die häufige Verwendung bestimmter Worte, Sätze und neuer Narrative in Medien und Alltagssprache erhöhen die Akzeptanz von militärischen Maßnahmen als gesellschaftlich akzeptierte und politisch legitimierte Lösungen. "Bedrohung", "Feind", "Sicherheit durch Aufrüstung", "mehr Patriotismus" können zu einer Normalisierung von Gewalt in der Gesellschaft führen und Gewalt als Mittel der Konfliktlösung rechtfertigen.
Aus Friedenssicherung wird Kriegstüchtigkeit. In die Alltagssprache sickern Worte aus der Sprache des Militärs wie selbstverständlich und sind im Büro, an der Supermarktkasse und auf den Fluren der Behörden zu hören. Und bald darauf dreht sich die Gesellschaft, verändert sich spürbar, ohne dass es fassbar wäre.
Die Gesellschaft dreht sich in Richtung Militarisierung, einfach so, ohne Folgen. Zunächst ohne Folgen. Alles ist wie immer. Wir gehen Essen, Spazieren, Tanzen, kochen uns leckere Sachen, gehen in die Schule, zur Uni, zur Arbeit. Nichts ändert sich. Und doch ist alles anders, weil unvorstellbar rasch militärische Lösungen als akzeptierte Narrative von der Gesellschaft mitgetragen werden.
Sprache wirkt stets in zwei Richtungen: auf das eigene Denken, und auf die Wahrnehmung der Realität um uns herum. Sprache beeinflusst also in Zeiten militärischer Aufrüstung nicht nur die Wahrnehmung von Realität, sondern trägt aktiv zur Schaffung einer Realität bei, in der militärische Maßnahmen als notwendig und gerechtfertigt angesehen werden.
Schauen wir ins Amerika von Trumps zweiter Amtszeit, so ist's mit Worten, Wahrheit, Sinn und kultureller Geschichte, die in Wort und Satz, Bild und Ton ihre Erinnerungen in uns pflanzen, ein Leichtes, sie zu verbiegen, ja sie einfach auszulöschen.
Orwell, hello again.
Kaum drei Monate im Amt, radiert die Administration rund um Trump missliebige Wörter aus. Sie verschwinden einfach aus der offiziellen Sprache und es ist verboten, sie im amtlichen Gebrauch auszusprechen. Hunderte Wörter werden verbannt, die der Administration "politisch nicht in den Kram passen: »Rassismus«, »Privilegien«, »Diversität«. Es ist jene Art der Sprachkontrolle, die Trump den woken Linken immer vorgeworfen hat." (NYT; Spiegel online. 2025).
Im US Verteidigungsministerium werden zehntausende Bilder aus den Fotoarchiven der US Streitkräfte von den Internetseiten gelöscht. Warum? Gesichter, die auf Inklusion hinweisen könnten, Gesichter, die auf Diversität verweisen könnten, sind politisch unerwünscht. Die Bilder wurden entfernt. Klassische Bilder, die klassische Ansichten zeigen, wie ein weißer Mann und wie eine weiße Frau auszusehen haben, sind der neue Standard. Bilder schaffen neue Werte.
Als ich begann, mich zu politisieren, so in der Pubertät, nahmen wir den 2. Weltkrieg in der Schule durch. Ich war fassungslos, dass die Amerikaner zu Jazz und der aufkommenden Swingära ausgelassen tanzten, während in Deutschland tonnenweise Bomben Leben und Dasein zerstörten, bis nur Staub und ein wenig Mörtel blieben. Ich habe lange nicht verstehen wollen, wie Menschen tanzen und Theateraufführungen besuchen, während anderswo in der Welt die Bomben nur so vom Himmel regnen und Tod und Leid herbeiführen.
Heute tanzen wir selbst neben Trümmern, die uns Tagesschau und Youtube zeigen.
In einigen Jahrzehnten, wenn es uns dann noch gibt, werden wir forschen, wie es angefangen hat, wann es angefangen hat, welche ersten Zeichen es gegeben hat. Aber es gibt ständig Zeichen!
Jeden Tag fällt ein weiteres Wort auf den Boden der Militarisierung der Gesellschaft und bereitet die Saat für Krieg und Verderben. Geht sie auf und wächst, ist es zu spät, dann lässt sich nur noch ernten.
Orwell führte in seinem Werk "1984" Neusprech ein. Eine in Grammatik und Vokabular immer weiter reduzierte Sprache. Mitnichten, um die Logik zu vereinfachen. Sprechen findet seinen unmittelbaren Widerhall und Niederschlag im Denken. So ist eine reduzierte einseitige Sprache der Beginn eines reduzierten, verarmten Denkens, Fühlens und Sprechens.
Eine militarisierte Sprache bereitet die Gesellschaft im Denken, Fühlen und Sprechen auf mögliche reale Kriegshandlungen vor. Erst das Wort, dann die Tat.
Vielleicht sollten wir uns an der alten chinesischen Kriegführung, genannt Sunzi orientieren: "Jede Kriegführung gründet auf Täuschung. Wenn dein Gegner ein cholerisches Temperament hat, dann versuche ihn zu reizen. Gib vor, schwach zu sein, damit er überheblich wird."